Als werter Freund von Pablo Picasso, Max Ernst, Wassily Kandinsky, Georges Braque, Alfred Döblin, Robert Delaunay und anderen Künstlern schuf Otto Freundlich schon sehr früh abstrakte Kunst, um seine Philosophie des „Kosmischen Kommunismus“ mitzuteilen. Leider scheiterte sein progressives Handeln, den seine Kunst galt in der NS-Zeit als entartet und er, als Jude, wurde ermordet. 2017, in Zeiten des Rechtsrucks, des Egoismus, des Turbokapitalismus, der sozialen Medien und einer Gesellschaft, die generell stark auf Individualisierung setzt, ist seine Kunst in vielerlei Hinsicht politisch und gesellschaftlich aussagekräftig. Mit 80 Werken ist die Ausstellung „Otto Freundlich: Kosmischer Kommunismus“ vom 18. Februar bis 14. Mai 2017 im Museum Ludwig eine große Schau des Gesamtkunstwerks dieses Theorie- und Ausdrucks-starken Künstlers.
Otto Freundlich (* 10. Juli 1878 in Stolp, Pommern, Polen; † 9. März 1943 im KZ Lublin-Majdanek oder Sobibor, Polen) schuf Gemälde und Skulpturen, Fenster und Mosaike. Bei Lovis Corinth hatte er privaten Kunstunterricht genommen. Später ging er nach Paris und fand zu seinem eigenen, figurativen Stil. Er war Mitglied vieler Gruppen und machte bei diversen Ausstellungen mit, z.B. der Berliner Secession. Er organisierte die erste Dada-Ausstellung mit und war Gründungsmitglied der Novembergruppe, eine Künstlervereinigung, die die soziale Revolution in Deutschland voran treiben wollte. Bis heute ist sein bekanntestes Werk sein „Großer Kopf“, den die Nazis 1938 auf dem Titelblatt ihres Ausstellungsführers Entartete Kunst abbildeten und damit die ursprüngliche beabsichtigte Symbolwirkung verfälschten und für sich nutzten. Einige Werke Freundlichs wurden für immer zerstört. Drei malte er aus der Erinnerung nochmal, dennoch bleibt vieles verloren.
Video „Transport des Mosaiks „Die Geburt des Menschen“ von Otto Freundlich ins Museum Ludwig.“, Quelle: Vimeo, Museum Ludwig
Im Museum Ludwig ist glücklicherweise Einiges seiner Kunst in der Sonderschau „Kosmischer Kommunismus“ ausgestellt. In seinen Schriften, wie in „Die Wege der abstrakten Kunst“ von 1934 oder „Bekenntnisse eines revolutionären Malers“ von 1935, welches das Museum Ludwig für den Ausstellungskatalog nutzte, hatte Otto Freundlich seine sozialen, politisch sehr links verorteten Gedanken zum „Kosmischen Kommunismus“ festgehalten. Seine Kunst war somit in Worte gefasst und seine sozial-politischen Absichten seiner Kunstwerke damit eindeutig erklärt.
Gemeinsam ist man stark
Dabei war er an kollektiven Arbeiten von Künstlern interessiert, sich narzisstisch als Künstlerpersönlichkeit, die über allem steht, zu zeigen, lehnte er vehement ab. Das Prinzip jeder ist sich selbst am nächsten war ihm zuwider. Es sollte auch nicht jeder möglichst individuell hervorstechen, wie z.B. es heute der Mensch durch individuelle Mode- und Lifestyleprodukte anstrebt, sondern die Gemeinschaft sollte sprechen, denn gemeinsam sei man stark. Die Welt und der Kosmos als Einheit, Respekt, Toleranz dem Menschen gegenüber, gleich welcher Couleur, gleich welcher Hautfarbe (siehe sein Bild „Hommage aux peuples de couleur“ von 1938 als Ausschnitt im Artikelbild oder vollständig unten in der Bilder-Slideshow) – solche Gedanken waren Freundlich nah. Auch in seinen künstlerischen Werken. Bis auf einige grafische Werke ist Freundlich niemals narrativ, sondern mehr offen. Er war über die Tradition der Zünfte im Mittelalter informiert und wollte diesen Gedanken in seinem Sinne weiterentwickeln und fit für die Zukunft gestalten. Im Ausstellungskatalog des Museum Ludwig steht dazu:
Nichts trennt Freundlichs Philosophie so sehr von unserer Zeit als sein vielbeschworenes „überindividuelles Prinzip“, sein Versuch einer „Überwindung individualistischer, privater Wertsetzungen“, „egozentrischer Gefühle und Gesinnungen“. In unserer Gesellschaft, in der, bedingt von ihrer Wirtschaftsordnung, jenseits des Individualismus nur mehr wenig vorgestellt werden kann, lässt sich nur schwer begreifen, wie nobel die Absicht Freundlichs war. Dadurch droht eine wesentliche Dimension seines Bilddenkens verloren zu gehen. Obwohl aus bürgerlichem Haus, entwickelte sich seine Abneigung gegen den bürgerlichen Individualismus außerordentlich früh und außerordentlich stark.“ (Quelle Ausstellungskatalog „Otto Freundlich: Kosmischer Kommunismus“ Prestel Verlag, 2017, herausgegeben von Julia Friedrich)
Die Vorstellung, wie der Mensch im Ideal sein sollte, diese Geisteshaltung hin zur Kollektivität, setzte Freundlich auch in seiner Kunsttheorie und Praxis um. Wie in der Ausstellung „Kosmischer Kommunismus“ im Museum Ludwig zu erfahren ist, ist in seinen Bildern
höchste Farbdynamik enthalten, die aber nach allen Seiten ohne Lücken an die benachbarten Farbenkomplexe angrenzte, die Kontraste der andern und damit seinen Unnterschied von ihnen klar erkennbar machte; da aber jeder Farbkomplex demselben Gesetz unterworfen war, so konnte ein Organismus gebildet werden, in dem es keinen Individualismus mehr gab, in dem der ganze Reichtum der Farbenskala zur Entwicklung gelangen konnte, ohne daß eine Farbeneinheit auf Kosten der andern lebte oder sie unterdrückte. Jeder Farbenkomplex, sei er aus lauter Rots oder lauter Graus gebildet, behauptet sich neben dem andern, er bewaht sein Selbst nur desto stärker dadurch, daß er das Selbst des andern voll zur Geltung bringt. Das Nebeneinandersein aller dieser Farbkomplexe, von denen jeder eine Farbindividualitat darstellt, ergibt die vollkommene Kollektive aller Farben auf einer Bildfläche. […] Aus der Dynamisierung der Flächen ergibt sich umgekehrt die Notwendigkeit, alle Konturen zu öffnen – zur Umwelt und zum Kosmos hin.“ (Quelle Ausstellungskatalog „Otto Freundlich: Kosmischer Kommunismus“)
All dies sieht man veranschaulicht in seinen Werken:
„Wir werden von denen verstanden werden, für die wir kämpfen.“, sagte Freundlich laut Ausstellungskatalog. Er war sich bewusst, dass die Arbeiterklasse, das revolutionäre Proletariat, erst in der Zukunft, rückblickend, seine progressiven Gedanken und seine abstrakte Kunst verstehen und anerkennen wird. Die damaligen kommunistischen Künstler hatten sich noch nicht getraut, ihrem Publikum mit abstrakter Kunst politische Motive nah zu bringen, da es zu schwer zu verstehen war. In der Ausstellung ist in seiner Biografie zu lesen „1919 Schreibt einen Brief an die sich gerade formierende Novembergruppe, in dem er den Begriff des „kosmischen Kommunismus“ erstmals formuliert: „Ich bin der Ansicht, daß die gesamten Grundlagen der jungen Kunst auf dem Gefühl eines kosmischen Kommunismus ruhen, von dem der wirtschaftliche Kommunismuis ein notwendiger, wenn auch untergeordneter Teil ist.“
Kunst und Physik
Otto Freundlich war damals gut informiert über die Errungenschaften der Physik, denn sein Cousin Erwin Finlay-Freundlich war ein Mitarbeiter von Albert Einstein. In der Physik sprach man über Dimensionen, die man sprachlich nur beschreiben, aber nicht mehr eins zu eins bildlich sehen und sich damit vorstellen konnte. So sollte auch das Bild in der Kunst sich vom Gegenständlichen lösen, um eine ungeheuerlich große Kraft frei zu setzen. Solch eine künstlerische und soziale Sprengkraft erhoffte Otto Freundlich sich mit seinem „Kosmischen Kommunismus“ und „weist nachdrücklich auf eine gedanklich-abstrakte Bewegung“ hin, so der Ausstellungskatalog. Leider verstanden dies damals die Wenigsten. Freundlich
hätte sich auf Marx berufen können, der im Vorwort zum Kapital schrieb: „Bei der Analyse der ökonomischen Formen [können] weder das Mikroskop dienen noch chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muß beides ersetzen.“ Die Effekte der Arbeit eines Einzelnes lassen sich beobachten, aber nicht mehr die einer ganzen Industrie, eine einzelne Ware lässt sich sehen und anfassen, aber nicht der Warentausch, bei einer Zwangsräumung oder einer Demonstration kann einer dabei sein, nicht aber beim Klassenkampf. Freundlich war der Auffassung, dass Kunst auf der Höhe der Zeit, ja ihr voraus sein sollte, dass Kunst den ganzen Reichtum nicht nur des Wahrnehmens, sondern auch des Denkens zu bieten habe. „Politische sein heißt heute die Formen verändern“, schrieb er. […] Der von ihm 1919 geforderte „kosmische Kommunismus“ nimmt zwar bei einer politischen Revolution seinen Anfang, aber bleibt bei ihr nicht stehen. Der Welt, der die Menschen so lange entfremdet waren, sollten sie sich endlich wieder aufschließen. Sie sollten das Ganze denken und als Freie und Gleiche ins Ganze entlassen werden.“ (Quelle Ausstellungskatalog „Otto Freundlich: Kosmischer Kommunismus“)
Eben in den kosmischen Kommunismus. Es ist beeindruckend, wie sehr Otto Freundlich seine Gedanken in seine Bildsprache umsetzt.
So wird auch deutlich, wie wichtig und aktuell Otto Freundlichs Kunst und seine Sozialgedanken in unserer politischen Zeit des Rechtsrucks noch immer sind, und wie progressiv und vorausahnend. Dabei ist es fundamental von Bedeutung, Freundlichs Schriften und damit sein Denken sichtbar und verständlich zu machen, so wie es das Museum Ludwig dankenswerter Weise für das Ausstellungspublikum möglich machte. Im Anschluss an die Sonderausstellung unter der Schirmherrschaft der Staatsministerin für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, wird diese vom 10. Juni bis 10. September 2017 im Kunstmuseum Basel zu sehen sein. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Musée Tavet-Delacour in Pontoise (Frankreich), das Freundlichs Nachlass beherbergt.