Was hat ein Dürer aus dem 16. Jahrhundert mit einem Gemälde von Georges Braque aus dem Jahr 1912 zu tun? Was ein Stilleben aus dem 17. Jahrhundert von Willem Claesz Heda mit einem Stilleben von Picasso aus dem 20. Jahrhundert? Wie führte der Impressionimus in die Moderne? Die Ausstellung „Von Dürer bis van Gogh“, welche nur in Köln zu sehen sein wird, gibt mit Meisterwerken des Mittelalters bis ins 20. Jahrhundert Antworten auf diese Fragen. Die Sammlung Bührle trifft auf diese des Wallraf-Richartz-Museums in Köln (23. September 2016 bis 29. Januar 2017 – auf Grund des Erfolgs verlängert bis zum 12. Februar 2017).
Die beiden in der Ausstellung „Von Dürer bis van Gogh“ geeinten Sammlungen Bührle und Wallraf haben gemeinsam geliebte Themen, wie z.B. den Impressionismus. Paare oder Dreierkonstellationen laden den Betrachter der Ausstellung ein, sich auf die Gemeinsamkeiten und Gegensätze verschiedener Werke einzulassen und damit einen neuen Blick, wie auch spannende Einsichten zu gewinnen.
Was gibt es zu sehen?
Zu Beginn begrüßt eine stillende Madonna in einem Gemälde aus dem Mittelalter (Meister des Bartholomäus-Altars, Muttergottes mit der Nuss, um 1485/90) den Betrachter neben stillenden Südseefrauen eines Paul Gauguin („Die Opfergabe“, 1902, Öl auf Leinwand, Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Zürich). Gemeinsame Themen, ob augenzwinkernd oder nicht, finden Maler immer wieder, sei es, weil sie sich nunmal gerade mit Meisterwerken der Vergangenheit beschäftigen, und ihre eigene Interpretation oder ihre Verarbeitung des Sujets in ihrem eigenen Werk sprechen lassen möchten. So zeigt das „Stilleben mit Römer, Silber, Zitrone“ von Willem Claecz Heda (1632, Öl auf Eichenholz, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln) eine ganz andere Wirkung der Vergänglichkeit, als die abstrakteren, knallgelben Zitronen in Pablo Picassos „Blumenstillleben mit Zitronen“ (1941, Öl auf Leinwand, Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Zürich), die hoffentlich für alle Ewigkeit so leuchtend gelb leuchten werden. Alle hier besprochenen und erwähnten Werke sind in der folgenden Slideshow zu sehen:
Überraschende Ähnlichkeiten in einer gewissen Strichführung erkennt man – schon allein für diesen Aha-Effekt lohnt sich die gesamte Ausstellung – wenn man Georges Braque „Der Violinspieler“ (1912, Öl auf Leinwand, Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Zürich) mit Albrechts Dürers „Pfeifer und Trommler“ vergleicht (um 1503/05, Lindenholz, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln). Wie die muskulösen Beine und der stramme Hintern des Pfeifers durch die markante Strichführung Dürers betont wurden, so wurden die charakteristischen runden Formen der Violine immer wieder und wieder in „Der Violinspieler“ betont. Das gemeinsame Musikthema scheint mir hier eher zufällig.
Überraschend modern
Viele impressionistische Gemälde in dieser Kombination der Hängung sind nur in Köln, im Wallraf-Richartz-Museum zur Zeit bis zum 29. Januar 2017 zu sehen. Die Impressionisten wandten sich gegen die Lehren der Akademie und erstellten stattdessen Momentaufnahmen, für die Akademie unfertige Werke, auf Grund ihrer schnellen Malweise des flüchtigen Augenblicks. Dies war ein Schritt in Richtung der Moderne der Malerei. Aber auch die Skulptur „Kleine, vierzehnjährige Tänzerin“ des Ballet-obsessiven Künstlers Degas zeigt sich verblüffend modern. Die Bronzeplastik hat einen Rock aus Tüll, ein bemaltes Mieder und eine Satinschliefe im Bronzehaar. Die Skulptur schuf Degas aus Wachs noch bevor er erblindete. Sie wurde nach seinem Tod in Bronze gegossen.
Sehr lohnenswert mündet am Ende die Ausstellung „Von Dürer bis van Gogh“, direkt nach diversen stimmungshaften Meisterwerken der Impressionisten, in bewusst nah beieinander hängende Bilder von Paul Cézanne, Paul Gauguin und Vincent van Gogh. Paul Cézannes „Der Knabe mit der roten Weste“ (um 1888/90, Öl auf Leinwand, Stiftung Sammlung E.G. Bührle, Zürich) ist so flächig gemalt – und das nicht nur die Figur, die Weste, sondern auch das Zimmer, in dem er sich befindet, dass ganz neue Räumlichkeiten entstehen. Seine Werke schufen Wege in die spätere abstrakte Malerei.
Paul Gauguin
Paul Gauguins „Bretonischer Junge“ (1889, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln) ist etwas unangenehm anzusehen, so verdreht und unnatürlich, wie er da liegt, auf der Wiese. Die Verdrehung des Körpers, zusammen mit den einfachen Linien, um seine Körperumrahmungen darzustellen, sind Gauguins Übertragungen aus dem Symbolismus. Die traditionellen Ansichten der Akademie hätten solch eine Malerei zu der Zeit nicht gelehrt. Er suchte das Wilde und Ursprüngliche, so malte er den nackten Jungen in der Bretagne, eine Gegend, die ihn eine vorindustrielle Welt spüren lassen hat. Da ihm dies nicht genug war, ging er später in die Südsee, wo er zuvor erwähnte Südseefrauen malte.
Vincent van Gogh

Vincent van Goghs, „Die Seine-Brücken bei Asnières“ (1887, Öl auf Leinwand, Stiftung Sammlung E.G. Bührle) und „Die Zugbrücke“ (1888, Öl auf Leinwand, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud) zeigen mit seiner markanten Strichführung noch etwas Anderes. Die „Seine-Brücken bei Asnières“ sind im Vergleich zu „Die Zugbrücke“ mit zaghafterem Farbauftrag versehen, das Bild ist viel pastelliger und wirkt schemenhafter, blasser, wie in einem Nebel, oder einem trüben Blick auf die wahrgenommene Szene der Lokomotive, eines Symbols der Industrialisierung, die die Landschaft voller Felder und Wiesen durchbricht. „Die Zugbrücke“ wiederum zeigt eine hohe Farbintensität, leuchtende Farben und auch eine Farbwahl, die einerseits etwas kühl, andererseits sehr stark wirkt. Sein Innerstes scheint van Gogh hier in seine Werke mit eingebracht zu haben. Seine Gemütszustände und seine innersten Regungen, während er die Landschaften betrachtet hatte, wirken auch beim Betrachten seiner Bilder mit. Und schon wieder sind wir auf dem Weg in die Moderne – van Gogh war Wegbereiter für die folgenden Expressionisten. Auf die Postimpressionisten berufen sich zahlreiche Künstler und Werke der Moderne.
All diese Wegbereiter, die impressionistischen und postimpressionistischen Werke Cézannes, Gauguins und van Gogh, die später als Inspirationsquelle für die abstrakte Kunst, den Symbolismus und den Expressionismus dienten, sind in diesem Kontext umso mehr spannender anzusehen. Die Ausstellung „Von Dürer bis van Gogh“ zeigt die Meisterwerke auch mit einem neuen Blick auf die Gemälde: Bilderpaare, die auf die eine oder andere Art Bezüge erkennen lassen, wie vielleicht ein paar überraschend ähnliche Strichführungen, werden miteinander im Dialog gezeigt. Die Auswahl der miteinander kombinierten Gemälde, bis hin zu Erkenntnissen, die die Wegbereiter bieten, ist spannend sowohl für Neulinge der Malereigeschichte, als auch für Betrachter, die Überraschungen suchen.
„99 SECONDS OF: VON DÜRER BIS VAN GOGH“ / Wallraf-Richartz-Museum, Quelle: YouTube, iksmedienarchiv