Details eröffnen Horizonte. Mit dem Gesamtwerk und einem neuen Ansatz mehr bieten, statt einfach nur mit alt bekanntem Wissen neue Interessenten und Leser erreichen. Der Taschen Verlag hat es sich zur Aufgabe gemacht, die sich leidenschaftlich streitende damalige Tagespresse – Klimt war auch ein skandal-umwitterter Künstler – wie auch die damalige Fachliteratur erstmals so ausgewertet zu Wort kommen zu lassen. Erfolg, Prestige, Schaffenskrise und Neuerfindung des Künstlers werden erläutert. Details der ornamentalen Werke, die es zum Teil noch nirgends anders gab, werden in zahlreichen Bildern in „Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde“ offenbar. Dabei ist das Material durch die beeindruckenden Detailabbildungen beinahe spürbar.
Was kann es noch? Das Buch könnte durch die Zeugnisse aus seinen Lebzeiten mit der Klischee verzerrten und mythenverbrämten Wahrnehmung Klimts aufräumen. Polarisiert hatte er schon damals, stand er doch sowohl für die Moderne, als auch für die Tradition und entzweite u.a. dadurch die Kunstwelt. In der Tat war er ein “umstrittener Künstlerstar” (S. 8, 9). “Die Frage für oder wider Klimt?” spaltete Journalisten und Öffentlichkeit gleichermaßen (S. 8, 9).
A star is born
Woher kommt die große Faszination Klimt? Klimt wurde 1862 in Wien geboren und war erstmal ein Shootingstar, aber unmittelbar nach Zweiten Weltkrieg nicht mehr relevant, da abstrakte Kunst dann angesagt war. Zu Lebzeiten war Klimt erster Präsident der Wiener Secession – was eine hohe Bedeutung für die bis heute hochkulturelle Stadt Wien hatte, denn die Gründung der Secession kam für die Stadt einer neuen künstlerischen Zeitrechnung gleich. Klimt wollte eine Revolution und zwar, dass die hohe und die angewandte Kunst als eins angesehen werden. Bis heute ist Wien bedeutsam geprägt vom künstlerischen Schaffen dieser Zeit. „Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde“ bietet einen Einblick in diese von Klimt mitgeprägte Ästhetik.
Heute begeistert er weiter: 2006 gab es einen Klimt-Film mit John Malkovich in der Hauptrolle. Zu der Zeit wurde mit 135 Millionen Dollar der Rekordpreis für ein Klimt-Gemälde erzielt. 2012 feierten wir den 150. Geburtstag von Klimt – mit zahlreiche Museumsausstellungen. Sowohl populäres, wie wissenschaftliches Interesse an Klimt brechen nicht ab – bis heute.
Was ist im Einzelnen drin?
Einsichtsreiche Themen im Buch sind z.B. Frauen im Werk Klimts, sowohl in der Portraitmalerei, als auch in den Allegorien. Frauenbilder werden schließlich zu einem Markenzeichen Klimts. Enthalten sind auch Biorafien der dargestellten Frauen des Großbürgertums, oft mit jüdischen Wurzeln. Ein bedeutendes Kapitel im Buch ist jenes zum Stocletfries, da dieses Werk in keinem anderen Buch so detailreich zu sehen ist. Zudem sind Landschaftsbilder ein Thema, sowie der Wandel Klimts „Landschaftsaufassung vom impressionistisch inspirierten Stimmungsbild zum abstrahierten „Malmosaik““ (S. 8,9). Zeichnungen im Klimts Werk sind ein viel erforschtes Gebiet, welches „oft überraschende Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise des Künstlers“ gibt (S. 9). Im Anschluss folgt der Katalog aller Gemälde. Die Kapitel im Einzelnen sind: 1. Der Salonmaler: Frühe Werke – frühe Karriere. 2. „Heiliger Frühling“ und Zeitenwende: Die Wiener Secession. 3. Der Stocletfries: Ein künstlicher Garten im Herzen des Hauses. 4. Frauendarstellungen. 5. Die Landschaften: Eine re-konstruierte Natur. 6. Klimts zeichnerisches Universum: Grundhaltungen – Seelenstimmungen. 7. Biografie.
Aufwendig und besonders
„Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde“ ist ein aufwendig gestaltetes Buch, durch die Fülle wiegt das coffe table book in der Tat ein paar Kilos. Aufwendig sind zum Beispiel die prachtvollen Abbildungen des Lebensbaumfrieses im Stocletpalais in Brüssel, welches so „detailreich und materialgerecht“ (S. 8, 9) wie noch nie zu sehen ist. Der sogenannte Stocletfries an den Seitenwänden des Speisesaals des Palais ist ein dreiteiliges Fries und Beispiel für Klimts angewandte Kunst, welches „dem geladenen Gast das Gefühl gibt, inmitten eines funkelnden Zaubergartens zu speisen“ (S. 103). Der Fries ist sehr genau und aus jedem Blickwinkel abgebildet. In den Abbildungen der ornamentalen Werke sieht man viele Details von Klimts Schaffen, die beim Betrachten eines Werkes von weiter Ferne nie so deutlich werden können. Auch die Jugendstil-Einrichtungen des Stocletpalais des Architekten Josef Hoffmann, wie Innenräume oder Häuserfassaden, werden hier dargestellt – vielleicht sind diese Einsichten nicht allen Interessierten bekannt.
Mehrwert „Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde“
Dem Taschen Verlag ist mit „Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde“ gelungen, ein Gesamtwerk mit einem neuen Ansatz anzubieten. Einen Mehrwert hat es damit allemal.
Am 21. September eröffnete übrigens der Verlag mit Sitz in Köln in seiner Stadt einen neuen Flagshipstore zentral am Neumarkt. Passenderweise sitzt der Store im Kunsthaus Lempertz – Kunstbücher und Kunst unter einem Dach. Wer zur Eröffnungsfeier anwesend war, konnte das Glück haben, die Bücher „Floating Piers“ und „Verhüllter Reichstag“ von dem berühmten Künstler Christo höchst persönlich signiert zu erhalten. „Gustav Klimt: Sämtliche Gemälde“ ist natürlich auch erhältlich auf taschen.com.
Bild Buchcover: Copyright: Cover © TASCHEN / Photographe Luciano ROMANO, société Compagnie Immobilière SAS et consorts STOCLET, Cover of the German edition