Umfassend und aufklärend: „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“

Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901) Divan Japonais 1892/93 Farblithografie auf Velinpapier 80,7 x 61,4 cm, auch in "Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen", in der Bundeskunsthalle Bonn bis zum 11.3.2018, Ausstellungsreview Kulturklitsche

Der Kunstfund Gurlitt erregte großes Aufsehen: Sind die Werke dem NS-Kunstraub zuzuordnen? Lagen sie als entartete Kunst verborgen? Die zahlreichen Funde sind für eine breite Öffentlichkeit in der Bundeskunsthalle Bonn zugänglich. Die dortigen 250 Werke beschäftigen sich vor allem mit dem NS-Kunstraub und den damaligen, schicksalhaften Erlebnissen der Menschen in der jüdischen Kunstszene. Das Kunstmuseum Bern zeigt zeitgleich mit rund 200 Exponaten eine Ausstellung mit als „Entartete Kunst“ zu wertenden Werken aus dem Nachlass von Cornelius Gurlitt. Cornelius ist der Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, welcher während der NS-Zeit sehr rege tätig war. Die Ergebnisse einer groß angelegten Provenienzforschung, der Forschung nach der Herkunft der Werke, vermittelt die Bundeskunsthalle Bonn in einer insgesamt riesigen und in mehrere, kleine Themenräume strukturierte Schau.

Warum ist diese Ausstellung so wichtig und richtig?

Wie wichtig es nicht nur für die Kunstwelt ist, die Zeiten des NS-Terrors und der Kunstraubfälle zu beleuchten und aufzuarbeiten, liegt auf der Hand. Das Spektrum des Rundgangs reicht von Aufklärung über die NS-Kulturpolitik, sowie die Organisation des NS-Kunstraubs, bis hin den sehr unterschiedlichen Umgangsformen Hildebrand Gurlitts mit der Situation und den Schicksalen Betroffener in seinem Kunstszene Umfeld. Dabei ist die Erklärung und Darstellung in die allgemeinen, geschichtlichen Ereignisse eingebettet, da sie nicht losgelöst davonzu zu sehen und erzählbar ist. Die Dimension des Kunstfunds macht ebenso deutlich, wie spektakulär der Fall Gurlitt ist – nicht nur für die Kunstszene. Da nicht alle Zeitzeignisse des Krieges erhalten geblieben sind, ist die lückenlose Provenienzforschung sicherlich alles andere als einfach. Dennoch besteht der Anspruch, die Geschehnisse auch moralisch angemessen aufzuarbeiten – das bedeutet viel benötigte Zeit, Personal und Budget.

Details zu „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“

Die Schau ist in fünf Kapitel aufgeteilt, was Tatsache ist, aber innerhalb des Rundgangs nicht deutlich kommuniziert wird. Die zeitliche Spannbreite geht von der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg über die Zeit ab 1938, als per „Führervorbehalt“ die Basis für den systematisch durchgeführten Kunstraub gelegt wurde, bis hin zu heutigen immer noch unaufgelösten Fragen. Dabei ist ein hilfreicher Zeitrahl als Überblick und zur Visualisierung der Chronologie inbegriffen, sowie Archivmaterial, Fotos, Fotoalben, Briefe, Gesetzteszitate im Kontext jüdischen Lebens als Wandtexte, Schaubilder zur Visualisierung der Organisation Gurlitts Kunstwelt und natürlich jede Menge der gefundenen Kunstwerke. Die kritische Behandlung der Biografie Gurlitts, seiner Verluste, wie auch zum großen Teil seines Profits durch die Machenschaften der NS-Kunstraubzeit, werden divers und verständlich beleuchtet.

Vielfältigkeit ist ein Merkmal dieser Ausstellung. Verschiedene Zeiten, Menschen, thematische Schwerpunkte und kritische Sichtweisen sind hier zugelassen. Schon allein durch die Diversität der gefundenen Werke wäre ein Aufspaltung der Schau in verschiedene Kapitel nötig. In der Tat spiegeln die Räume auch folgende Kapitel wider: Frauenbildnisse im Kunstfund Gurlitt, Moderne und Politik mit der Künstlervereinigung Brücke und der Sezession Gruppe, Expressionismus in Dresden, Werke Cornelia Gurlitts, Edvard Munch, Max Beckmann, Marinemalerei, Alte Meister, niederländische Malerei des „Goldenen Zeitalters“, französische Zeichnungen, französische Historienmalerei, die Schule von Barbizon, der Impressionismus, der japansiche Holzschnitt, der weibliche Akt und Stillleben. Dadurch wird nochmals die Größe und Bandbreite des Kunstfunds Gurlitt deutlich.

Video: „Bestandsaufnahme Gurlitt – Trailer“, Quelle: Vimeo, Bundeskunsthalle

Wie ist die Schau in der Bundeskunsthalle Bonn

Durch die zahlreichen Ebenen, die in diesem komplizierten Geflecht und Komplex zu beachten sind und in der Bundeskunsthalle Bonn auch beachtet werden, ist die Ausstellung notwendigerweise sowohl kleinschrittig, als auch vielfältig, als auch schwierig stringend und konsequent zu strukturieren. Hier wird auf die eine Ebene eingegangen, dort auf eine andere. Ein Erzählfluss ist dennoch vorhanden. Der Interessierte in der Ausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt. Der NS-Kunstraub und die Folgen“ ist beim Verlassen der Schau sicherlich angereichert mit komplexen und diversen Informationen und Eindrücken zur Historie und zu den Kunstwerken, wenn er nicht ohnehin schon Experte auf diesem vielschichtigen Gebiet ist. Durch die Diversität ist erhöhte Konzentration beim Rundgang notwendig, allerdings wird dies meiner Meinung nach der Komplexität des Themas auch gerecht. Das Universum rund um den NS-Kunstraub, das Leben und Agieren Gurlitts, sowie gesamtgeschichtliche Geschehnisse sind nunmal nicht einfach zu erklären und darzustellen. All diese Werke mal im Original sehen zu können, ist natürlich ein grundsätzlicher Grund für den Gang ins Museum – und in diesem Fall ein Umstand durch die Beschlagnahme des Nachlasses und die Öffnung für die Öffentlichkeit.

Wer sich diesem wichtigen Komplex der Kunstwelt und der europäischen Geschichte stellen und darin in einer großen, umfassenden Ausstellung eintauchen möchte, der hat dazu in der Bundeskunsthalle Bonn noch bis zum 11. März 2018 Gelegenheit.

Video: „Bestandsaufnahme Gurlitt – Behind the Art“, Quelle: Vimeo, Bundeskunsthalle